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Filmkritik
Superkräfte haben, einfach verschwinden können, für die anderen unsichtbar sein. Was der kleine Neffe von Brahim in der ersten Szene unbekümmert ausplaudert, bekommt im Laufe des Films den Klang eines verzweifelten Schreis. Die Geschichte, die Regisseur Nabil Ben Yadir in „Animals“ erzählt, beruht auf einem realen Fall, der sich vor einigen Jahren in Lüttich ereignete. Am 22. April 2012 wurde Ihsane Jarfi, ein 32-jähriger schwuler Muslim, nach dem Verlassen eines Clubs von vier Männern brutal misshandelt und zu Tode geprügelt. Das Hassverbrechen erschütterte Belgien. Juristisch gilt es als erster homophober Mord in der Justizgeschichte des Landes.
Angst, Unsicherheit, Unruhe
Angst, Unsicherheit und Unruhe bestimmen die Atmosphäre des Films von Beginn an. Am Geburtstag seiner Mutter erfährt Brahim sein Elternhaus als einen einzigen Stressraum. Gäste strömen herbei, es herrscht Gedränge, die Musik ist laut, in einem Zimmer wird noch gebetet, der Vater probt seine Rede, Dinge müssen entladen und aufgebaut werden, dazwischen fragen Verwandte, ob er noch immer allein sei, er solle doch endlich heiraten. Brahim bewegt sich wie ein Fremdkörper durch die Gesellschaft; seine Schwägerin wirft ihm strafende Blicke zu, entreißt ihren Sohn seiner Umarmung. Zudem lässt sein langjähriger Lebensgefährte, der ihn begleiten sollte, auf sich warten.
Nabil Ben Yadir, ein Brüsseler Filmemacher marokkanischer Herkunft, inszeniert den ersten Teil von „Animals“ als ein von Spannung und Schwindel durchdrungenes Bewegungskarussell. Die Handkamera ist dicht am Körper des Protagonisten, sie folgt seinen Gängen, seinen nervösen Blicken, macht Reißschwenks und wirkt selbst in den wenigen ruhigen Momenten wie auf der Lauer. Zwischen Andeutungen, bruchstückhaften Informationen und unterschwelliger Bedrohung gewinnt die Situation allmählich an Transparenz. Außer seinem Bruder Mehdi und seiner Schwägerin weiß niemand in der Familie über Brahims Homosexualität Bescheid, Mehdi will verhindern, dass er sich offen bekennt, belehrt ihn und spricht von Respekt. Den Freund seines Bruders hat er vor dem Haus abgefangen und körperlich bedroht.
Eine Orgie der Gewalt
„Unsere Verschiedenartigkeiten sind eine Antwort auf die Identitätsfanatiker“, heißt es in der Geburtstagsrede des muslimischen Vaters an seine Frau, eine gebürtige Belgierin. Brahim filmt ihn mit seinem Handy von draußen durchs Fenster, dann flüchtet er von der Familienblase ins nächtliche Treiben. Nach dem Verlassen einer Schwulenbar kommt es zu der verhängnisvollen Begegnung mit einer Gruppe betrunkener Männer. Als er zu ihnen ins Auto steigt, ist es bereits zu spät. Brahim wird verbal beschimpft, erniedrigt und geschlagen. Ein Versuch zu fliehen scheitert.
Was folgt, ist eine Orgie der Gewalt, die sich in der Gruppendynamik immer hemmungsloser entfacht. Zugehörigkeiten spielen auch hier eine Rolle. Einer der Männer ist muslimisch; von Brahims Homosexualität glaubt er sich doppelt abgrenzen zu müssen; für den Jüngsten in der Gruppe ist der Gewaltexzess so etwas wie ein Initiationsritual. Homophobie und brutale Männlichkeit zeigen sich in „Animals“ in ihren grausamsten – und dabei sozial und kulturell vielfältigen – Formen und Ausprägungen.
Allzu wörtlich in filmische Sprache übersetzt
Im zweiten Teil werden die Differenzierungen, um die sich Ben Yadir ansatzweise bemüht, durch die Erzähl- und Blickperspektive allerdings völlig plattgewalzt. Sobald die Männer anfangen, ihre Quälereien zu filmen, wechselt der Film in die Täterperspektive und in den „vertical content“ der Handykamera. Mit extremen Gewaltdarstellungen wird nicht gespart. Die Bilder sind in ihrem Realismus nicht zu ertragen; sie führen auch zu nichts. Am Ende liegt ein junger Mann nackt, schwer misshandelt und zu Tode geschlagen im Morgengrauen auf einer Wiese; wir mussten dabei zusehen. Im letzten Teil folgt der Film einem der Täter, erneut wird ein Fest gefeiert.
Der Pressetext bezieht sich auf „Funny Games“. Sicherlich kann man auch den Film von Michael Haneke fragwürdig finden; dessen Konzept, einen distanzierten filmischen Realismus mit einer stilisierten Groteske zu vermischen und das alles noch hoch selbstreflexiv, ist zumindest die Mehrdimensionalität nicht abzusprechen. „Animals“ ist in seiner rohen Gewalt und penetranten Nähe hingegen schlicht sinnlos brutal und dumpf. Über die Absichten von Ben Yadir ist damit nichts gesagt. Um Exploitation geht es ihm sicher nicht; „Animals“ ist kein Film, der sich bei der Gewalt etwas abholen würde. Eher hat man das Gefühl, dass der Regisseur die Begriffe „schmerzhaft“ und „schonungslos“ allzu wörtlich in die filmische Sprache übersetzt – ohne sich über die Implikationen bewusst zu sein.