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Filmkritik
Inez ist eine junge schwarze Frau im New York des Jahres 1994. Die Friseurin wurde gerade aus dem Gefängnis entlassen und rekrutiert nun auf den Straßen der Metropole neue Kunden, indem sie anhaltenden Autofahrern und Passanten ihre Künste empfiehlt. Eines Tages erfährt sie, dass ihr Sohn Terry sich bei dem Versuch, vor seiner Pflegefamilie zu flüchten, verletzt hat und im Krankenhaus behandelt wird. Dort sitzt der 6-Jährige deprimiert mit einer Platzwunde am Kopf und möchte wieder zu seiner Mama ziehen. Kurzerhand entführt Inez das Kind und begibt sich damit in die Illegalität, weil Terry offiziell dem Jugendamt unterstellt ist.
Durch die Solidarität einer älteren Afroamerikanerin finden Mutter und Sohn schließlich eine bezahlbare und bescheidene Bleibe in Harlem. Inez geht putzen, der begabte Terry zur Schule. Von einem Freund besorgt Inez gefälschte Papiere und lebt nun mit Terry unter einem anderen Namen. Bald zieht auch Inez’ Freund Lucky in die kleine Wohnung ein, und die beiden heiraten. Doch Lucky ist nicht der Felsen, den sich Inez gewünscht hat. Er ist konfliktscheu, geht häufig fremd und verschwindet zeitweise für längere Perioden. Mittlerweile befinden wir uns im neuen Millennium. Terry ist nun Teenager, hat sich in die Tresenkraft Simone verguckt und wechselt auf Druck Inez’ auf eine gute Schule mit Technikschwerpunkt. Inez schuftet bei der Arbeit und im Haushalt, um ihrem Sohn eine bessere Zukunft zu ermöglichen, die ihr selbst als Waise nicht offenstand. Deshalb erträgt sie ihren wankelmütigen Mann und auch die Launen ihres Sohnes, der sich eher für eine Karriere als Musiker denn als Ingenieur interessiert. Doch bald häufen sich die Probleme, und auch Inez’ illegale Handlung aus den 1990er-Jahren wird ihr irgendwann auf die Füße fallen …
Kraftvoll und immer im Sinne des Sohnes
Die New Yorker Regisseurin A.V. Rockwell schildert in ihrem Leinwanddebüt „A Thousand and One“ die Probleme der Familie nie als Elendsgeschichte, sondern stellt eine kraftvolle, zuweilen verzweifelte, aber immer im Sinne ihres Sohnes agierende Frau in den Mittelpunkt. Weil Inez selbst als Waise bei diversen Pflegefamilien aufgewachsen ist, tut sie alles, um ihrem Sohn ein besseres Leben zu ermöglichen. Teyana Taylor gelingt es in einer sehenswerten Darbietung, die widersprüchlichen Emotionen – die Energie, aber auch die Desillusion – ihrer Figur zu verkörpern. Erst spät im Film erfährt man, dass Inez ein Geheimnis mit sich herumschleppt, und dann setzt es eine überraschende, nicht unbedingt zwingende, Wende. Sie wird allerdings noch einmal die tiefe Einsamkeit dieses ständig an allen Fronten kämpfenden Muttertiers aufzeigen.
Da der Film über einen Zeitraum von anderthalb Jahrzehnten angelegt ist (die Figur des Terry wird von drei Schauspielern gespielt), erweist er sich als epischer, als der erste Abschnitt mit Terry als kleinem Jungen es vermuten lässt. Dennoch bleibt sich das Drama narrativ und stilistisch treu, reißt mit und schafft es, einen Kontext zu kreieren, in dem er die jüngere Entwicklung der Stadt New York aus der Perspektive einer schwarzen, mittellosen Kleinfamilie schildert. Es bietet zudem eine realistische, zuweilen fast beiläufige Studie von Alltagsrassismus: Als schwarzer Teenager wird Terry wiederholt und willkürlich von Polizisten angehalten und gefilzt. Ebenso zeigt „A Thousand and One“ strukturelle Benachteilung sowie den gesellschaftlichen Zündstoff in einer Stadt auf, die sich durch Gentrifizierung und den fehlenden Schutz sozial Benachteiligter selbst schadet.
Eine Verdrängung aus dem Viertel bahnt sich an
Der Titel des Films spielt auf die Nummer 10-01 des Apartments an, das Inez und Terry (und, mit Unterbrechungen, auch Lucky) anderthalb Jahrzehnte lang bewohnen werden. Es fungiert als Rückzugsort der Familie, wird durch seine Enge aber auch zum Schauplatz von Konflikten. Es ist erschwinglich, symbolisiert durch seinen Mangel an Renovierung und Komfort aber auch die ökonomische Stagnation der Familie. Dass ein schmieriger neuer Eigentümer Inez aus der Wohnung ekeln will, reiht sich in die Logik des Profits ein, die unweigerlich auch in Inez’ Harlemer Nachbarschaft Einzug hält. Es bahnt sich eine Verdrängung aus einem Viertel an, dessen Zusammenhalt immer groß war. Inez war mit ihrer Familie als festes Mitglied der Nachbarschafts-Community in Harlem eingebunden. Man feierte Feste auf der Straße, stand sich gegenseitig bei.
Zahlreiche Panoramaansichten und Kamerafahrten aus Drohnensicht auf New Yorker Häuserblocks zeigen den Kontext der Riesenmetropole auf, einer Stadt im Wandel, deren soziales Klima immer erbarmungsloser wird. Fetzen von Radiosendungen dokumentieren diese stetige und unaufhaltsame Veränderung, wenn am Anfang des Films der republikanische „Law and Order“-Bürgermeister Rudolph Giuliani die „Säuberung“ der Stadt verspricht und sich auf Fußgänger einschießt, die bei Rot über die Ampel gehen. Zwar verspricht sein Nachfolger Michael Bloomberg bei seinem Amtsantritt Besserung und zitiert die schwarze US-Schriftstellerin Toni Morrison. Doch seine Versprechungen löst er nicht ein, und die Lage für sozial schwach gestellte Einwohner verschlechtert sich.
Eine unverbrüchliche Beziehung
Angenehm an „A Thousand and One“ ist ebenfalls, dass der Film keine Klischees von Ghetto, schwarzen Rappern oder Frauenschlägern bedient und meist mit einem dynamischen Score unterlegt ist, der an Terrys Idol, den Musikproduzenten Quincy Jones, erinnert. Vor allem erzählt Rockwells Film jedoch die Geschichte einer unverbrüchlichen Beziehung zwischen Mutter und Sohn, die trotz aller Konflikte und Widrigkeiten von großer Liebe und Solidarität geprägt ist.