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Filmkritik
Früher galt Soho als das angesagte Künstlerviertel New Yorks, später war es Brooklyn, dann Queens. Jetzt ziehen die jungen Menschen notgedrungen wieder zu ihren Eltern. So fasst der College-Student Gatsby Welles die horrende Mietpreissteigerung in seiner Geburtsstadt zusammen.
Der große Regisseur Orson Welles und F. Scott Fitzgeralds Romanfigur „Der große Gatsby“ vereinen sich in seinem Namen, der ein schlechter Scherz seiner wohlhabenden Eltern sein könnte, oder aber eine gewitzt selbstreferentielle Anspielung des (Drehbuch-)Autors Woody Allen. Zumindest schlendert Gatsby in „A Rainy Day in New York“ wie eine fast schon anachronistische Version von Allens Alter Ego durch die Straßen: ein bisschen neurotisch, ein bisschen nervös, aber immer mondän und kognitiv eindeutig auf der Überholspur.
Auseinanderdriftende Welten
Nur in der Liebe zu seiner hübschen Freundin Ashleigh kommt der junge Mann ins Straucheln. Gatsby ist ein hedonistischer Spieler und Gentleman der alten Schule; Ashleigh hingegen ist das glatte Gegenteil: ein karriereorientiertes, naiv- fröhliches „Millennial“, das in einem Interview mit dem berühmten Regisseur Roland Pollard für ihre College-Zeitschrift den ganz großen Wurf wittert. Das Gespräch soll in Manhattan stattfinden, was Gatsby von einem romantischen Wochenende in seiner Heimatstadt träumen lässt.
Gatsby und Ashleigh, hinreißend gespielt von Timothée Chalamet und Elle Fanning, beziehen ein luxuriöses Hotelzimmer, irren dann aber getrennt durch New York, einzig verbunden durch kurzatmige Handy-Anrufe. Während Ashleigh in die verführerische Kreativszene eintaucht, um den Regisseur aus seiner tiefen Schaffenskrise zu erlösen, muss Gatsby einen Programmpunkt nach dem anderen canceln. Er läuft lästigen Verwandten in die Arme und lässt sich von einem wunderschön gefilmten, aber wie erstarrt wirkenden New York desillusionieren, statt es für sich und Ashleigh wiederzubeleben. Man könnte auch sagen: Gatsby ist die Vergangenheit, Ashleigh ist die Zukunft. Die kam allerdings schon einmal geistreicher daher.
Der Regen hört nicht mehr auf
Denn das New York, das Gatsby liebt und erinnert, ist nicht wie Ashleigh, sondern wie Shannon (Selena Gomez). Mit der scharfzüngigen Schwester einer verflossenen High-School-Liebe muss Gatsby einen halb erzwungenen Filmkuss tauschen, um einen Ex-Mitschüler nicht bei seinem Erstlingsfilm hängen zu lassen. Shannon ist so klug, cool und abgebrüht, wie es sich im Künstler-Mekka gebührt, selbst wenn es im Untergang begriffen ist. Die junge Frau ist der Tiefgang all der oberflächlichen Begegnungen, die Gatsby erdulden muss. Als sie sich zum ersten Mal küssen, beginnt es zu regnen – und es wird auch nicht mehr aufhören, bis Gatsby zu sich selbst gefunden hat.
„A Rainy Day in New York“ ist mitnichten die launig romantische Liebeserklärung an New York, die man von Woody Allen erwartet. Vielmehr scheinen Stadt und Film komplett von den Selbstdarstellern der Filmbranche okkupiert, die allesamt wie Klischeefiguren ihrer selbst agieren. Der neurotische Regisseur, der gehörnte Drehbuchautor, der untreue Schauspieler und die stets fröhliche Nachwuchsjournalistin, die bei sexueller Erregung Schluckauf bekommt und als Inbegriff des leicht zu beeindruckenden Blondchens agiert. Ihrer Schönheit und Naivität erliegen die einflussreichen Männer in Scharen, während sie, geblendet vom faden Glanz, Gatsby schnell aufs Abstellgleis verfrachtet. „It’s contagious“, es ist ansteckend: Gatsby wird ebenso schnell verdrängt, wie alle New Yorker ihre Feindschaften und Lieben flott ad acta zu legen scheinen.
Glücklicherweise trifft das nicht auf die #MeToo-Bewegung zu, die 2018 auch Woody Allen durch die wiederholten Anschuldigungen seiner Stieftochter Dylan Farrow massiv betraf. Der US-Verleiher Amazon Studios sah sich gezwungen, den Film erst einmal in der Schublade verschwinden zu lassen, wo er von Allen wieder herausgeklagt wurde.
Die Männer laufen auf
Was vor diesem Hintergrund nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist der Umstand, wie Woody Allen die eindimensional gezeichneten Männerfiguren als Karikaturen ihrer selbst im doppelten Wortsinne „auflaufen“ lässt: die arrivierten Herren sonnen sich eitel in Ashleighs Bewunderung, können die Hohlheit ihres Begehrens einer wesentlich jüngeren Frau aber kaum verbergen. Und die Medien stricken an deren Sexualisierung nach Kräften mit, als Ashleigh auf einen umschwärmten Schauspieler trifft.
Was hier geschildert wird, ist ein offenkundig viel zu ungleiches Geschlechterverhältnis, das die beruflichen Ambitionen der jungen Studentin nicht ernst nimmt, während zwei andere Frauenfiguren schon in der Prostitution gelandet sind. Allen erzählt hier nicht zuletzt auch die traurige Geschichte einer durch und durch gentrifizierten Stadt, in der man sich durchschlagen muss, weil der Kapitalismus die Kunst längst besiegt hat. Das Eldorado der Kreativen, Literaten und Filmkünstler gehört vergangenen Zeiten an.
Ein Fels in der Brandung
Es scheint fast ein melancholischer Abgesang auf seine große Liebe New York zu sein, den der nunmehr 84-jährige Regisseur anstimmt, da die Menschen so viel mehr mit sich selbst als mit ihrer Kunst oder ihren Partnern beschäftigt sind. Betrogen wird hier nicht nur das Gegenüber, sondern auch die Liebe zur Kunst, wenn Pollards tiefgreifende Schaffenskrise ziemlich flott überwunden wird.
Wie charakterisiert Gatsby, der ganz im Sinne Fitzgeralds einen Felsen in der Brandung der gesellschaftlichen Umbrüche darstellt, seine geliebte Heimatstadt? „Entweder bist du in New York oder du bist nirgendwo. Wo sonst willst du solch ein Plateau aus Angst, Feindseligkeit und Paranoia finden?“
Es sind der junge Bohemien und Shannon, die ihre Feindseligkeit überwinden müssen, um in New York den Regen und die Magie heraufzubeschwören, die dieser Ort einst besaß. Das hat ebenfalls etwas Anachronistisches. Die Unschuld scheinen beide verloren zu haben – die Stadt und ihr Regisseur.