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Filmkritik
Der Unternehmer Abel Morales und Ehefrau Anna sind sich völlig einig. Um ihre prosperierende Heizölfirma in ein marktbeherrschendes Imperium zu verwandeln, investieren sie ihr ganzes Geld in ein Industriegelände, das ihnen zu guten Konditionen überlassen wird. Damit können sie auf dem Wasserweg beliefert werden und sie steigern die Lagerkapazitäten. Doch ihre Investitionsfreude wird auf eine harte Probe gestellt. Von allen Seiten sehen sich die beiden in ihrem Willen zum Wachstum torpediert. So werden die Lastwagen, mit denen sie das Öl an die Kunden ausliefern, von Gangstern entführt. Und der Gewerkschaft fällt nichts Besseres ein, als gleichfalls zu gewaltsamen Mitteln zu greifen. Die Fahrer sollen illegalerweise bewaffnet werden, was der rechtschaffene Geschäftsmann Morales jedoch rundherum ablehnt. Aber offenbar gibt es doch manches, wovon er noch nichts weiß. Denn ein Staatsanwalt, der die Branche ins Visier nimmt, bereitet eine Anklageschrift wegen Betrugs und Steuerhinterziehung vor, aber nur seine Ehefrau kennt die Bücher. Als dann einer der Fahrer aus Angst wild um sich schießt und der Kredit für den Kauf des Grundstücks gekündigt wird, muss sich Abel Morales ernsthaft fragen, ob er seinen Prinzipien treu bleiben kann. Der Regisseur J.C. Chandor hat nach seinem großen Erfolg „All Is Lost“ (fd 42 127) nun wieder ein größeres Ensemble versammelt. Doch auch in seinem neuesten Drama lässt ihn die Idee vom Kampf eines Individuums mit mächtigen Elementen nicht los. Wie in Chandors spannendem Kammerspiel auf dem Meer gerät ein Mensch bei seiner wagemutigen Unternehmung in eine äußerst missliche Lage hinein. Sie könnte sein Untergang sein. Aber der Zuschauer erlebt in Gestalt der Figur, wie diese noch angesichts der schrecklichsten Katastrophe übermenschliche Kräfte in sich zu mobilisieren vermag. Ging es in „Der große Crash – Margin Call“ (fd 40 663) um die Auswüchse der Finanzmärkte, wendet sich Chandor nun einem anderen Aspekt des Kapitalismus zu und lässt seinen Protagonisten einen sozialen Machtkampf führen: Er bekommt es in New York im Jahr 1981 mit einer korrupten und gewalttätigen Gesellschaft zu tun, die ihn in eine moralische Zwickmühle hineinzwingt. Die Welt steht am Beginn ihrer neoliberalen Neuordnung durch Politiker wie Ronald Reagan und Margaret Thatcher, die für solche investitionsfreudigen Macher ein förderliches Klima schaffen werden, indem sie Steuern senken und die Macht der Gewerkschaften brechen. Der Filmemacher lotet anhand des Schicksals dieses Mannes aus, welchen Spielraum sich ein Individuum erobern kann. Muss sich ein Unternehmer, wenn er seinen Aufstieg vorantreiben will, diesen Methoden anpassen, muss er gar korrupt werden, oder darf er seine Weltsicht des freien, rein wachstumsorientierten Unternehmertums bestätigt sehen? Während es in der minimalistischen Anlage von „All Is Lost“ bestens funktionierte, mit Spannung zu inszenieren, wie ein Mann mit Geschick, Fingerfertigkeit, Einfallsreichtum und Beharren zäh um sein Überleben ringt, stößt dies in diesem Krimidrama jedoch an Grenzen. Denn der Held bekommt es jetzt mit einer Gesellschaft größeren Zuschnittes, mit einem komplexen sozialen Gebilde und damit auch mit psychologischem Kalkül zu tun. Zudem hat Morales nicht nur ein einziges Problem zu bewältigen, sondern muss mehrere Rollen ausfüllen. Er ist Unternehmer, Familienvater und Mann einer Frau, die ihn zugleich bei seinen Geschäften unterstützt, und soll in diesem Geflecht nun Kontur gewinnen. Chandors Inszenierung vermag den Zuschauer zwar durchaus in Spannung zu halten. Aber das Zeitkolorit der achtziger Jahre löst sich von den Figuren ab und überdeckt deren Glaubwürdigkeit. Es erstarrt zu einer abstrakten Idee über die Schönheit jener Epoche, in welcher der Kapitalismus offenbar noch berechenbar war. Der Film gefällt sich in polierten Oberflächen, die Szenerie wird von warmem gelbem Licht überschienen. Die Bildsprache erinnert mitunter an die Filme von William Friedkin wie „Leben und Sterben in L.A.“ (fd 25 540) auf, ohne dass sich der Film dazu durchringen könnte, ein Neo Noir zu sein. In den ästhetisch durchkomponierten Bildern von Bradford Young stellen sich die Figuren mit ihrer schicken, erlesenen Armani-Kleidung aus. Doch Kleider machen nicht immer auch Leute.