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Filmkritik
Bereits der Titel, der nichts anderes bedeutet als die Opuszah! des Films, zeigt die eigene Unsicherheit an, die Fellini gegenüber diesem jüngsten Sprößling seiner Muse hatte, die allzu persönlich gebundene Selbstbespiegelung und nicht zuletzt die Ungewißheit, was sie eigentlich soll und worauf es mit ihr hinauswill. Der Vergleich mit so manchem parallelem Einfall von einst fällt nicht gerade zugunsten des jetzigen Werkes aus, und man denkt unwillkürlich an den Poeten Rattengift in Grabbes Bühnenstück "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung", der einfallslos am Federhalter kaute und schließlich darüber, daß ihm nichts einfällt, ein Sonett zu dichten begann. Fellinis Film handelt von nichts anderem als der Tatsache, daß der Regisseur sich nicht fähig fühlt, einen Film zu inszenieren. Fellini selbst war, wie man der in der Buchausgabe des Drehbuches (Cappelli editore, Bologna) durch Camilla Cederna nacherzählten Entstehungsgeschichte des Films entnehmen kann, zur Behandlung eines Leberleidens in das Bad Chianciano gegangen, und in dem gleichen Chianciano spielt auch der Film: um einen leberkranken Regisseur, leichtlebig und unaufrichtig, der seine ihm recht gleichgültig gewordene Frau mit einer überaus ridikül wirkenden und dummen Geliebten betrügt, zugleich aber auch noch von den Reizen des Mädchens Claudia und etlicher weiterer Damen gefesselt wird. Aber auch dies etwas übertriebene erotische Verlangen scheint nur ein Ausbruchsversuch aus der inneren Krise, und in bisweilen schier schamlos direkter Form berichtet Fellini von seinen Komplexen und Fehlhandlungen, seinen Zweifeln und Irrwegen, seiner Angst und dem unentwegten Suchen nach einem Ausweg. Die jetzige deutsche Fassung gibt nur sehr bedingt einen Eindruck von dem, was Fellini eigentlich geschaffen hat; der deutsche Dialog ist bisweilen erschreckend verflacht, und zudem hat die Fassung einige sehr störende Kürzungen, vor allem in den Schlußszenen, erfahren. Zwar hat der Film nicht viel an realer nacherzählbarer Handlung, aber gerade das wie Delirierende daran, all das Wechselspiel zwischen wirklichem Erleben, komplexhaften Erinnerungen und unerfüllbaren Wunschträumen, gibt nicht nur den Stil, sondern zugleich auch den Sinn des Werkes. Fellini selbst nannte seinen Film "etwas, das zwischen einer psychoanalytischen Sitzung und einer ungeordneten Gewissenserforschung in einer nebulosen Atmosphäre oszilliert: ein melancholischer, fast düsterer, aber durch und durch komischer Film". Das Widersprüchliche an dieser Definition bestätigt das, was Fellini darstellen wollte: sich selbst, einen Menschen mit seinem Widerspruch. Es ist freilich zu viel Allerpersönlichstes in diesen Film hineingepackt, allerprivateste Karikaturen Fellinis und der Menschen um ihn, deren Be- oder Anzüglichkeit der Kinobesucher nicht versteht. Wer die bisher gründlichste Fellini-Biografie gelesen haben sollte, "La storia di Federico Fellini" von Angelo Solmi (Rizzoli editore, Milano, 1962), wird so manche Episode aus dem Leben des Regisseurs wiedererkennen, doch kommt es für die Erlebniswirkung des Films nicht auf die Fülle oder Genauigkeit der Selbstzitate aus seinem Leben an, sondern auf die menschliche, geistige und künstlerische Ausdruckskraft des Werkes. Da Fellini sich hierin auch mit Fragen des Glaubens und der Kirche auseinandersetzt, ist es nötig, seine persönliche Stellung zu umreißen: Zu dem Verfasser des genannten Buches hat er erklärt, von seiner Natur als Italiener her betrachte er die katholische Kirche als "eine große Mutter" und würde sich nie willentlich außerhalb oder gegen sie stellen, doch ist er (a. a. O. Seite 40) ein "nicht praktizierender Katholik". Und Solmi erkennt bei ihm durchaus die "Gefahr, einem vagen Theismus zu ähneln, der direkt an den Pantheismus grenzen kann". Angesichts mancher Über-Schätzungen des Christlichen oder gar speziell Katholischen bei Fellini ist es notwendig, sich dieser Tatsachen bewußt zu sein.
Seine Erinnerungen, die dieser Film wiedergibt, gehen in ein geistliches Knabeninternat zurück, wo er mit Freunden am Strand zum ersten Male der Sünde begegnete: in dem fetten und geilen Lumpenweibe La Saraghina verkörpert, mit dem er Rumba tanzt, von den geistlichen Lehrern nachher mit der strengsten Buße bestraft. Von diesem Erlebnis rühren seine Komplexe her: der eine gegenüber dem Eros, der andere der Religion. Daß die Saraghina eine gewisse Ähnlichkeit mit der Geliebten Carla hat, Carla wiederum mit der Amme, die Mutter schließlich mit der Ehefrau Luisa - das zeigt sehr deutlich die tiefenpsychologischen Verbindungen, die das Bild der Frau bei Fellini auf die Urtypen der Mutter und der Sünderin verweisen. Die hart an der Grenze des Möglichen stehende Unterredung mit dem Kardinal, nackt und nur mit Tüchern abgedeckt im Dampfbad, überdreht Fellini vom optischen Einfall her, um Aufmerksamkeit und Interesse zu wecken - und läßt hier die wesentlichsten und tiefgründigsten Sätze des Films sprechen, um sie dann von dem Regisseur Anselmi doch nicht zur Bewältigung seiner Lebenskrise werden zu lassen. Wer denn gesagt habe, daß wir auf die Welt gekommen seien, um glücklich zu sein, antwortet der Kardinal auf Anselmis Frage nach dem Glück, und dann verweist er ihn darauf, dem Gesange der Vögel zu lauschen.
Fellini hatte zu diesem Film zwei völlig verschiedene Schlüsse gedreht; noch wenige Wochen vor der Uraufführung erklärte er, nicht zu wissen, welchen er in den Film hineinnehmen wolle. Daß er nicht den im gedruckten Drehbuch vorgesehenen nahm, der eine Versöhnung der Ehegatten vorsah, sondern einen erst während der Dreharbeiten aus dem optischen Einfall heraus konzipierten, der mit schönen Bildern über die im Grunde ungelöst bleibende "Schaffenskrise" hinwegtäuscht, ist für die geistig doch so oberflächliche Behandlung der Probleme in diesem Film bezeichnend. Als Anselmi die Arbeit an seinem Film aufgibt, dem Drama der Überlebenden eines Atomkrieges, die mit einem Weltraumschiff auf einen anderen Planeten fliehen und dort Frieden finden wollen, haben Anselmi und zugleich eben Fellini sich für diese Erde entschieden. Der Magier, der zuvor schon auftrat, führt den Reigen der Zirkusclowns an, die mit Pfeifen und Trommeln alle Mitwirkenden im Narrenreigen durch das Gelände tanzen lassen. Das gibt hinreißende Aufnahmen im "La-Strada"-Stil, doch Fellinis Selbstkommentar, es wäre ein Bekenntnis zum stoischen Auf-sich-Nehmen des Lebens, wird nicht sonderlich überzeugend, und auch die von anderer Seite geäußerte Meinung, dies Finale bedeute die Selbsterlösung des Menschen durch die Kunst, dürfte fragwürdig sein.
"8 1/2" ist brillant fotografiert, in vielen Rollen vorzüglich gespielt und läßt an manchen Einzelheiten noch immer Fellinis meisterliche Regiehand erkennen. Aber da Fellini hier seine private Lebenskrise in einem aufwendigen Film behandelt, der sie als exemplarisch erscheinen lassen möchte, und darin an religiöse Fragen rührt, durch die bereits Kritiker verlockt wurden, dies als einen religiösen oder gar speziell katholischen Film zu interpretieren, muß in aller Klarheit gesagt sein, daß "8 ć" kein in seinem Grunde christlicher Film ist. Die Kirche wird darin als eine große, aber unheimlich-fremde Macht gezeigt, in die Fellini - wie er selbst sagte - als Italiener hineingeboren ist, die ihm seit seiner Jugendzeit lastende Komplexe verschaffte und heute keine befriedigende Antwort oder gültige Lösung bereit hat. Wenn nach "La dolce vita" noch im katholischen Bereich, vornehmlich in Italien, die Meinungen gegensätzlich waren und leidenschaftliche Verfechter seiner Christlichkeit auftraten, ist nach "8 ć" wohl kaum ein Zweifel möglich, daß der Weg ins Freie, den Fellini hier suchte und in den Schlußszenen wohl auch gefunden zu haben glaubt, nicht der christliche und erst recht nicht der speziell katholische ist.