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Filmkritik
Wenn einem als Journalistin früher als Einstieg in eine Reportage absolut nichts einfallen wollte, griff man notfalls zum Taxifahrer-Zitat. Das ist inzwischen zum Glück verpönt. Man kann aber auch einfach einen ganzen Kinofilm weitgehend mit Taxifahrer-Zitaten bestreiten. Zum Thema Deutschland fällt nämlich vielen nichts mehr ein; also Flucht nach vorne.
Regisseur Tobi Baumann und Drehbuchautor Gernot Gricksch setzen in „791 KM“ einem knorrigen Taxifahrer (Joachim Król) geradezu verzweifelt-proaktiv vier unterschiedliche Menschen ins Auto, die sich so lange nerven, bis sie sich doch noch verstehen. Es braucht dazu nur 791 Kilometer auf deutschen Autobahnen, und das gibt fast ein wenig Hoffnung. Man muss einander nur einmal in Ruhe zuhören, dann lohnt sich sogar der CO2-Ausstoß.
Gegen alles und jeden
„791 km“ ist eine Komödie, die reale Abgründe nett umtänzelt, und kein artifizielles, semi-dokumentarisches Werk wie etwa „Taxi Teheran“ (2015) von Jafar Panahi. Die ersten Minuten wirken allerdings so, als hätte Gricksch mit akribischem Ernst sämtliche Talkshow-, Telegram- und Boulevardzeitungs-Aufregerthemen abgearbeitet, in eine Excel-Tabelle eingetragen und die vorgefundenen Aussagen paritätisch auf die Figuren verteilt. Wobei Joachim Król den alten weißen Antipoden schlechthin geben muss. Der poltert stammtischmäßig und vorhersehbar gegen alles, was in seinem Auto versammelt ist: gegen die altlinke Akademikerin mit Susan-Sontag-Gedächtnishaarsträhne (Iris Berben), gegen die neoliberale Start-up-Karrierefrau mit Migrationshintergrund (Nilam Farooq), den „politisch korrekten“ Softie (Ben Münchow) und auch gegen die zurückgeblieben wirkende Susi (Lena Urzendowsky).
Sie alle sind nach einem Sturm am Münchner Hauptbahnhof gestrandet, müssen aber dringend nach Hamburg. Jeder denkt buchstäblich nur an sein eigenes Fortkommen. Der Taxifahrer Joseph wiederum behauptet, gar nicht im Dienst zu sein, doch egal, man wedelt mit den Taxi-Gutscheinen vor seiner Nase herum, und weil auch er an sein eigenes Fortkommen denkt, lässt er sich breitschlagen. Natürlich haben alle ihre eigentlichen Motive, individuellen Kompetenzen und Schicksale, und kaum kennt man diese, ist man schon viel weniger voneinander genervt.
Lieber heute als morgen
In dem ziemlich didaktischen Film geht es fast schon zu offensichtlich darum, einen Teil des Publikums dort abzuholen, wo es ist: auf den Schlachtfeldern der zertrümmerten gesellschaftlichen Kommunikation. Und es dann dort hinzubringen, wo alle Menschen gleich sind: zum Friedhof. Auf dass wir klüger werden, und zwar lieber heute als morgen, denn dann ist es zu spät. Das ist als düstere Moral von der lustigen Geschicht’ nicht zu verachten. Außerdem geht der Film mit seiner eigenen Plakativität dramaturgisch geschickt um, indem er die Schablonenhaftigkeit der einzelnen Figuren nach und nach zu einer gewissen Plastizität der Charaktere ausbaut.
Eigentlich ist es sogar ziemlich unterhaltsam, anderen wegen ein paar Stichworten oder „Triggern“ nicht vorschnell eine Identität überzustülpen. Sondern geduldig herauszufinden, was Sache ist. „Jeder hat seine Gründe.“ Das sagt aber nicht der Taxifahrer, der das erst noch lernen muss, sondern der Drehbuchautor im Presseheft.