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Filmkritik
Die alleinerziehende Lagerarbeiterin Thelma (Alexandra Lamy) kümmert sich liebevoll um ihren zwölfjährigen Sohn Louis (Hugo Questel), der sich für japanische Mangas und Skateboards begeistert. Als er bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt und im Krankenhaus ins künstliche Koma versetzt wird, glaubt Thelma fest daran, dass er wieder erwachen wird, obwohl ihr die Ärzte wenig Hoffnung machen. Sie und ihre Mutter Odette (Muriel Robin) besuchen ihn regelmäßig im Krankenhaus und sprechen zu ihm. Nach drei Monaten findet Thelma ein Notizbuch mit bezaubernden Zeichnungen ihres Sohnes. Darin hat er zehn Dinge festgehalten, die er vor dem Ende der Welt noch erledigen will.
An der Stelle ihres Sohnes
Die Mutter beschließt, diese zehn „Wunder“ für ihn umzusetzen, weil sie hofft, dass er aus dem Koma aufwacht, wenn sie ihm davon berichtet. Obwohl sie nur wenig Geld hat, bricht Thelma zu einem abenteuerlichen Trip auf, der sie unter anderem an die Côte d’Azur, nach Portugal, Japan und Schottland führt. Als schwierigster Wunsch erweist sich Louis’ Ziel, wenigstens einmal seinen Vater zu treffen. Unterwegs entdeckt die Reisende, dass sie sich mit jeder Herausforderung weiterentwickelt; Schritt für Schritt überwindet sie ihre Ängste und lernt sogar, den Moment zu genießen.
Die Vorlage für „Das Zimmer der Wunder“ stammt von dem französischen Autor Julien Sandrel, dem mit seinem Erstling ein märchenhafter Volltreffer gelang. Schon vor der Veröffentlichung wurde die tragikomische Erzählung über eine außergewöhnliche Mutter-Sohn-Beziehung in 26 Länder verkauft. Auch Filmproduzenten rissen sich um den Stoff. Den Zuschlag zur Inszenierung erhielt die Regisseurin Lisa Azuelos, die erstmals ein fremdes Drehbuch verfilmt. Allerdings bleibt sie ihren Themen treu: Frauen auf der hindernisreichen Suche nach ihrem Platz im Leben.
Das Drehbuch behält die Grundstruktur des Romans bei, nimmt aber etliche Veränderungen vor. So werden die Komödienelemente zugunsten der melodramatischen Züge reduziert. Zudem verwandelt sich die Protagonistin von einer Karrierefrau in eine Lagerarbeiterin, und auch die Rolle des verschwundenen Vaters wurde ausgebaut.
Mit Walen schwimmen
Azuelos’ Regie-Stil wirkt einfühlsam und weitgehend kitschfrei, auch wenn die Filmmusik in dramatischen Situationen zuweilen etwas üppig ausfällt. Gelegentlich entfaltet der Film geradezu märchenhafte Züge. So bekniet Thelma, die unter Wasser Angst bekommt, in Portugal eine Tauchlehrerin so lange, bis sie ihr in einem Crashkurs das Gerätetauchen beibringt, damit Thelma mit Walen schwimmen kann; ein extravaganter Wunsch von Louis.
Trotz des melodramatischen Erzähltons streut der Film gelegentlich eine Prise leisen, manchmal sogar lakonischen Humors ein. Die weiteste Reise führt Thelma nach Japan, wo sie das Skatebord ihres Sohnes von einem berühmten Manga-Autor signieren lassen möchte. Wenn sie in Tokio umherirrt und nur Menschen begegnet, die nur Japanisch sprechen, grenzt das mitunter auch ans Absurde.
„Das Zimmer der Wunder“ wird über weite Strecken von Alexandra Lamy getragen, die mit jugendlichem Enthusiasmus zwischen konträren Gefühlslagen wechselt und Trauer und Verzweiflung ebenso überzeugend vermittelt wie Optimismus und Abenteuerlust. Hugo Questel spielt den im Krankenbett liegenden Louis mit großer Natürlichkeit, und auch Muriel Robin wandelt ihre Mutter-Figur eindrucksvoll von einer reichlich oberflächlichen, ichbezogenen Persönlichkeit zur emotionalen Stütze ihrer Tochter.
Die Grenzen verschwimmen
Für den Schluss haben sich die Filmemacher eine clevere Wendung ausgedacht, die Louis’ Liste auf originelle Weise transformiert. Wenn Thelma einen Brief an den Menschen schreibt, „der ich in zehn Jahren sein werde“, bleibt in der Schwebe, was Realität und was Wunschtraum ist.